Wieso ein Rückzug des EU-Beitrittsgesuches überflüssig ist

24. Oktober 2010
Bundesrat Joseph Deiss bei der Unterzeichung der Bilateralen II mit dem niederländischen Ratsvorsitzenden Jan Donner im Jahr 2004 (Foto: Rat der Europäischen Union)
Bundesrat Joseph Deiss bei der Unterzeichung der Bilateralen II mit dem niederländischen Ratsvorsitzenden Jan Donner im Jahr 2004 (Foto: Rat der Europäischen Union)

An ihrer letzten Delegiertenversammlung in Herisau entschied sich die FDP.Die Liberalen, den Entscheid von 1995 für einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft zu widerrufen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die SVP zum gefühlten hunderttausendsten Mal den Rückzug des 1992 gestellten Beitrittsgesuches fordert. 

Kurz vor der Abstimmung über den Beitritt der Schweiz zum EWR im Jahr 1992 entschied sich der Bundesrat in einem Anflug einer mutigen europapolitischen Vision aber abstimmungsstrategischer Schwäche dafür, bei der Europäischen Gemeinschaft ein Beitrittsgesuch zu stellen. 

Nachdem der EWR-Beitritt kurz darauf an der Urne verworfen wurde, war jedem klar – auch den europäischen Politikern – dass das Thema eines Beitrittes zumindest bis auf Weiteres vom Tisch ist. Spätestens nach der überaus deutlichen Schlappe der EU-Befürworter im Jahr 2001 war klar, dass das Beitrittsgesuch das Papier nicht mehr wert war, auf dem es geschrieben stand. Trotzdem fordert die SVP weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Rückzug des mittlerweile schon 18 Jahre alten Papieres. 

Auch nach dem Entscheid der FDP-Delegiertenversammlung, dem Ziel eines Beitritts zur EU abzuschwören und somit einen Entscheid von 1995 zu widerrufen, liess der reflexartige Ruf nicht lange auf sich warten. SVP-Generalsekretär Martin Baltisser schreibt in seinem Editorial

Von der FDP ist nun zu erwarten, dass sie endlich mithilft, das unsägliche EU-Beitrittsgesuch, das immer noch in Brüssel liegt, zurückzuziehen. 

Nur so sei der gefasste Beschluss glaubwürdig. Der Grund für diese Forderung war natürlich zu erwarten und ist überaus durchsichtig: die SVP möchte sich weiterhin als einzige Partei profilieren, welche sich gegen den EU-Beitritt einsetzt, auch wenn sie dies schon lange nicht mehr ist. 

Die Aufregung um das Beitrittsgesuches ist schwer zu verstehen. Es lässt sich aus meiner Sicht am ehesten mit einem Liebesbrief vergleichen. Zum Zeitpunkt in dem er verfasst wird, gibt er wieder, wie sehr einem das Verhältnis zueinander am Herzen liegt. Ist die Beziehung aber einmal beendet, wäre es unangebracht, früher geschriebene Liebesbriefe zurückzuverlangen. Sie haben durch das Beziehungsende eine andere Bedeutung erhalten. So hat auch das Beitrittsgesuch seine Bedeutung längstens verloren und eine Rückforderung eines gegenstandslosen Papiers würde in Brüssel eher für Irritationen sorgen, auf wenig Verständnis stossen und würde neue Verhandlungen für bilaterale Verträge sicher nicht erleichtern. 

Bei allem parteipolitischen Geplänkel ist schliesslich auch festzuhalten, dass ein Rückzug des Beitrittsgesuches nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich keinen Sinn macht. Das Gesuch richtete sich nämlich nicht an die Europäische Union, sondern an die Europäische Gemeinschaft. Erst seit dem Vertrag von Lissabon – am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten – verfügt die Europäische Union über eine eigene Rechtspersönlichkeit und ist somit beitrittsfähig. Zum Zeitpunkt des Schweizerischen Beitrittsgesuches hingegen war der Adressat die Europäische Gemeinschaft. 

Es wäre an der Zeit, dass auch die SVP einsieht, dass ein Rückzug des Beitrittsgesuches weder aussenpolitisch noch rechtlich Sinn macht.

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    Luca Urgese
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