Morgen ist der 1. Mai. Wie jedes Jahr werden viele Menschen auf die Strasse gehen und für eine breite Palette an sozialpolitischen Forderungen demonstrieren. Soweit nichts Neues, soweit nichts Ungewöhnliches.
Eher kurios ist hingegen, was sich im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai abgespielt hat. Wiederholte Eskalationen bei den letzten Demonstrationen haben dazu geführt, dass die Linke unter Druck geraten ist. Wenig verwunderlich, denn das Verständnis der Bevölkerung für Gewalt, Sachbeschädigungen und Vermummte, die hinter einem Banner versteckt auf die Polizei zumarschieren, ist ziemlich klein. Entsprechend gross der Ärger, wenn linke Kolleginnen und Kollegen im Grossen Rat unbewilligte Demonstrationen verteidigen und den Fehler immer wieder aufs Neue bei der Polizei suchen.
Ich war persönlich am von Regierungsrätin Stephanie Eymann einberufenen runden Tisch mit dabei, an dem Wege gesucht werden sollten, die Situation zu deeskalieren. Das Misstrauen war auf beiden Seiten sehr hoch. Es war keinerlei Bereitschaft zu erkennen, einen Schritt auf die Polizei zuzumachen. Und auch die Debatten im Grossen Rat versprachen wenig Hoffnung auf eine baldige Entspannung.
Umso erstaunlicher und erfreulicher war es, als wir Anfang April vernehmen konnten, dass das 1. Mai-Komitee sich auf einen „Aktionskonsens“ geeinigt habe. In diesem Konsens sprach sich die Linke gegen die Zerstörung von Eigentum und gegen jegliche Form von Gewalt aus, auch gegen Mitarbeitende der Basler Polizei. Wer sich nicht daran halte, dürfe nicht mitlaufen. Ein klares Zeichen der Distanzierung, auf das Viele lange gewartet hatten.
Kurz vor dem 1. Mai sieht alles wieder anders aus. Der Kodex gilt nun doch nicht mehr. Gute Gründe sind dafür nicht ersichtlich. Auch diejenigen, die ihn ablehnen, lassen sich in der Zeitung zitieren, sie würden Gewalt und Sachbeschädigungen ablehnen. Warum also lehnen sie den Aktionskonsens ab?
Von Aussen ist das schwer zu sagen. Es scheint einigen ums Prinzip zu gehen. Ich würde die Haltung, wie ich sie wahrnehme, wie folgt zusammenfassen: Man soll jederzeit überall, ungehindert und ohne Bewilligung demonstrieren dürfen. Stellt sich die Polizei dem in den Weg, muss man entgegenhalten. Zur Not mit Gewalt. Schliesslich ist demonstrieren ein Grundrecht, das auch gegen den repressiven Staat durchgesetzt werden muss.
Ja, demonstrieren ist ein Grundrecht. Was aber gerne vergessen geht: Es gibt die Grundrechte der einen. Aber es gibt eben auch die Grundrechte der anderen. Wer seine eigenen Grundrechte über diejenigen aller anderen stellt, ist nicht nur egoistisch und meint, er oder sie sei wichtiger als alle anderen, sondern ist von der Verfassung auch nicht geschützt. Denn es gibt nicht nur das verfassungsmässige Recht auf Versammlungsfreiheit, sondern auch die verfassungsmässigen Rechte auf Schutz des Eigentums, auf Bewegungs- und auf Wirtschaftsfreiheit. Diese Rechte müssen in Konfliktsituationen gegeneinander abgewogen werden. Genau deshalb ist für Demonstrationen eine Bewilligung notwendig. Das hat selbst BastA!-Nationalrätin Sibel Arslan erkannt, als sie im Fernsehen sagte, „Selbstverständlich finde ich, man sollte eine Bewilligung einholen“.
Was wir brauchen, um die Situation zu entspannen, ist ein demokratischer, rechtsstaatlicher Konsens. Ein Konsens darüber, dass die Demonstrationsfreiheit ein wichtiges Gut ist, welches es hoch zu halten gilt. Dass aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Schutz des Eigentums ebenso wichtige verfassungsmässige Güter sind. Dass alle betroffenen Grundrechte gegeneinander abzuwägen sind. Dass wer das Demonstrationsrecht über alles andere stellt und es erzwingen will, nicht im Rahmen der Verfassung handelt. Dass die Polizei die gesetzliche Aufgabe hat, Recht und Ordnung durchzusetzen und diese Güter (und sich selber) zu schützen. Dass es zur Deeskalation beiträgt, wenn vor einer Demonstration eine Bewilligung eingeholt wird. Dass wer vermummt oder hinter einem verstärkten Banner versteckt eine Polizeikette zu durchbrechen versucht, bewusst die Eskalation sucht und sich straffällig macht. Dass wer all diese Punkte missachtet, den Boden des demokratischen, rechtsstatlichen Konsenses verlässt.
So hoffen wir denn auf einen friedlichen 1. Mai ohne Gewalt und ohne Sachbeschädigungen. Damit wir im Grossen Rat nicht bald wieder dieselben Diskussionen führen müssen, wie bei früheren Demonstrationen. Mein Dank gilt derweil den Polizistinnen und Polizisten, die sich auch an diesem Tag wohl einiges werden anhören müssen, während sie für unsere Sicherheit sorgen.